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Sich auf ein Date vorzubereiten war eine Sache dachte ich, während ich an den Leuten vorbeimarschierte, die auf den Markt strömten, aber es war noch einmal etwas ganz anderes, wenn es sich dabei um ein Date mit einem Vampir handelte, den höchstwahrscheinlich irgendwann im Laufe der Veranstaltung der kleine Hunger überkam. Ich überlegte, ob ich zu der Sorte Frau gehörte, die einem Dunklen schon beim ersten Date erlaubte, von ihrem Blut zu trinken. Nachdem ich dann die Vorstellung, am nächsten Morgen voller Pflaster und Verbände zum Frühstück zu erscheinen, gegen die erotischen Beschreibungen des Liebesakts in Dantes Büchern abgewogen hatte, beschloss ich, es darauf ankommen zu lassen und zu improvisieren.
„Allmählich bekomme ich in Sachen Vampirgläubigkeit den richtigen Dreh heraus“, lobte ich mich, als ich den grasbewachsenen Hügel zum Hotel hochstapfte. „Es ist eigentlich gar nicht so schwer. Man muss nur immer schön auf der Hut sein.“
Als ich in meinem Zimmer ankam, hatte ich mir einen Schlachtplan zurechtgelegt. Zuerst wollte ich ein langes genüssliches Bad nehmen. Ich wusste, dass Raphael mich erst nach zwei Uhr in der Nacht verführen konnte, da er bis dahin auf dem Markt beschäftigt war, daher hatte ich genug Zeit.
Nach dem Baden wollte ich mir das hocherotische Negligé anziehen und auf dem Bett aufreizende Posen und verführerische Blicke üben, bis Raphael eintraf.
Eine Stunde später, nachdem ich gebadet hatte, kam mir beim Haare bürsten etwas in den Sinn und ich schaute nachdenklich in den Spiegel: Warum hatte ich mir eigentlich nichts dabei gedacht, dass Raphael einen Job hatte? Warum hatte ich mich nie gefragt, warum ein Vampir, also jemand, der mehrere hundert Jahre alt war, für seinen Lebensunterhalt arbeiten musste? Vampire waren doch von Natur aus wohlhabend. In Dantes Büchern waren sie es jedenfalls. Sie schienen sich nie Sorgen ums Geld zu machen.
„Pech gehabt“, sagte ich zu meinem Spiegelbild und bürstete mein Haar, bis es knisterte. „Ich suche mir den einzigen armen Vampir aus, der hier herumläuft. Ewig leben mit knappem Budget... Oh, Happy Day!“
Wenn ich eine Schwäche habe - und um die Wahrheit zu sagen habe ich einige, meine Reaktion auf einen gewissen bernsteinäugigen Dracula ist nur eine unter vielen -, dann ist es verführerische Nachtwäsche. Ich gebe offen und ehrlich zu, dass ich eine Negligé-Liebhaberin bin. Ich besitze bestimmt über ein Dutzend davon, alle aus Seide und Samt, mit Unmengen an Spitze.
Ich hatte jedoch nur zwei mit nach Europa genommen, also war die Entscheidung, welches ich für Raphael anziehen sollte, nicht besonders schwer, aber es dauerte trotzdem ein Weilchen.
„Will ich das altrosafarbene ,Nimm mich, ich gehöre dir’ mit den kleinen Röschen, das mich schüchtern und unschuldig wirken lässt, oder das rattenscharfe nachtblaue ,Berühr mich und du verbrennst dich’? Fragen über Fragen!“
Da ich nicht genau wusste, was ich wollte - selbstverständlich wollte ich, dass etwas passierte, ich war nur nicht sicher, wie weit ich zu gehen bereit war -, entschied ich mich für das unschuldige Altrosafarbene. Ich schaute noch einmal kurz in den Spiegel, tupfte mir etwas Parfüm in die Kniekehlen und machte es mir mit einem Krimi im Bett gemütlich.
Ich wollte noch ein bisschen lesen, bis Raphael auftauchte.
Wozu hat er seine Vampirzähne, wenn er keinen Gebrauch davon macht?, meldete sich die lästige Stimme in meinem Kopf zu Wort. Ich ignorierte sie und las weiter.
Wo schläft er? In einem Sarg wie in den Filmen oder in einem abgedunkelten Gemach wie die Vampire in Dantes Büchern?
Ich biss die Zähne zusammen und las jedes Wort ganz bewusst und langsam.
Wenn er in einem Sarg schläft, hat er dann einen für zwei? Ich gab auf und legte das Buch zur Seite. Gut, dann würde ich eben ein kleines Frage-und-Antwort-Spiel mit mir selbst spielen, wenn dadurch Ruhe in meinem Kopf einkehrte.
Frage Nummer eins: Wollte ich in einem Sarg schlafen? Ich wusste aus Dantes Büchern, dass die Auserwählte eines Dunklen zwar unsterblich, aber nicht zum Vampir wurde, also musste ich mir zumindest über das Bluttrinken keine Sorgen machen. Aber war ich bereit, den Rest meines Lebens in einem Sarg zu schlafen?
„Hmm ... ich glaube nicht“, grübelte ich.
Was ist mit Sex?, wollte meine innere Stimme wissen. Ich wusste, dass Dunkle Kinder zeugen konnten, was bedeutete, dass jeder Austausch von Körperflüssigkeiten über den dritten Schritt hinaus nur vonstattengehen konnte, wenn ein gewisser Teil von ihm ordnungsgemäß in Latex gehüllt war.
Ich nahm mir vor, gleich am nächsten Tag eine Packung Kondome zu kaufen.
„Nur zur Sicherheit“, sagte ich zu meinen Zehen, die bei dem Gedanken an jenen gewissen Teil von Raphael vor Freude zuckten. „Ich rechne nämlich nicht damit, dass ich sie so bald brauche. Er mag mich zwar faszinieren und mir weiche Knie machen und in mir den Wunsch wecken, mithilfe der pelzbesetzten Handschellen, von denen Roxy erzählt hatte, raffinierte Dinge mit ihm anzustellen, aber das bedeutete nicht, dass ich damit sofort loslegen würde. Ich habe schließlich Prinzipien! Ich springe doch nicht mit dem erstbesten bernsteinäugigen Vampir ins Bett und mutiere zu einem pubertierenden Girlie!“
Meine Zehen sahen nicht aus, als glaubten sie mir, was vermutlich daran lag, dass meine Beteuerungen nicht sonderlich überzeugend klangen.
„Na gut!“ Ich sah meine Zehen böse an. „Ich bin zu allem bereit, was Raphael angeht. Seid ihr jetzt zufrieden? Ich gebe es zu! Aber wahrscheinlich kann ich gar nichts dafür. Es ist vermutlich eine Folge seiner mentalen Verführungsversuche. Ich bin nur eine unschuldige Zeugin, die in seine schmutzigen Fantasien verwickelt wurde!“
Danach hielt ich den Mund. Es war schon traurig, wenn man sich genötigt sah, sich hinsichtlich seiner Tugendhaftigkeit vor seinen Zehen zu rechtfertigen, besonders wenn einem weder die Zehen noch das eigene Ich die Geschichte abkauften. Ich schüttelte mein Haar noch einmal auf, sah auf die Uhr und nahm wieder mein Buch zur Hand. Vier Stunden waren ein Klacks.
Ich würde einfach lesen, bis Raphael kam und mir den Kopf verdrehte.
Geliebte!, hallte es durch meinen Kopf. Benommen stellte ich fest, dass ich tatsächlich eingeschlafen war. Mein Körper war schwer und träge und so angenehm warm umhüllt, dass ich nicht die geringste Lust hatte, mich zu bewegen. Ich spürte einen leichten Luftzug über meinen Körper streichen, als bewegten sich unsichtbare Hände über mir.
Ich sah ein verschwommenes Gesicht vor meinem geistigen Auge, das immer deutlicher wurde. Raphael. Er war gekommen. Ich versuchte, die Augen zu öffnen und meine Arme nach ihm auszustrecken, doch ich war so tief versunken in dem weichen Federbett, dass mein Körper mir nicht gehorchte.
Geliebte!, ertönte es wieder und die Welt erbebte in freudiger Erwartung seiner Ankunft. Ich stellte mir vor, wie er durch den Flur ging, wie üblich in schwarzen Jeans und Lederjacke. Sein muskulöser Körper bewegte sich mit einer kraftvollen Eleganz, die mich wohlig erschaudern ließ. Sein Leid erfüllte mein Bewusstsein, als er näher kam, und ich spürte, wie sehr er sich danach sehnte, von der Finsternis in seinem Inneren befreit zu werden.
Raphael. Ich kannte seine Gesichtszüge ganz genau, ebenso die Macht seiner Augen. Er kam durch die geschlossene Tür und durch seine Anwesenheit verwandelte sich der Raum sogleich in eine warme und vertraute Zufluchtstätte. Ich wollte meine Augen öffnen, um in seine Bernsteinglut zu schauen, aber ich konnte mein Augenlider nicht bewegen.
Gezwungen, mich auf Sinne zu verlassen, von denen ich gar nicht wusste, dass ich sie besaß, überlief mich ein Schauder der Erregung, als meine Decke weggezogen und mein Körper seinem Blick ausgesetzt wurde.
Raphael. Wärme umfing mich, als er sich über mich beugte und seine langen Finger sehnsüchtig meine Haut streiften. Er ließ mich an seinen Gedanken teilhaben und erfüllte mich mit Bildern von intensivem sexuellem Verlangen und Begierde, mit erotischen Bildern, aus denen das Wissen sprach, dass ich allein für ihn erschaffen wurde. Mein Körper schrie danach, von ihm berührt zu werden. Ich tastete blind umher, um das Wesen zu ergreifen, das mein Blut wollte, doch es entzog sich mir ein ums andere Mal. Ein Schatten legte sich auf meine Sinne, als ihn unvermittelt ein Verlangen überkam, das mehr als bloßer Hunger war. Er sehnte sich danach, dass unsere Seelen miteinander verschmolzen und sich unsere Lebenskraft vereinte, damit wir für alle Zeit aneinander gebunden waren. Raphael?
Gib dich mir hin! Sein Befehl hallte in meinen Ohren, als sein Schatten über mir war und er mich mit einem langen Kuss dazu drängte, mein Schicksal anzunehmen. Plötzlich schrie etwas in mir beängstigend laut auf und brachte mich ebenfalls zum Schreien. Irgendetwas stimmte nicht. Irgendetwas lief auf einmal schief.
Gib dich mir hin! Der Schatten seiner Gedanken wirbelte durch meinen Kopf, während ich versuchte, gegen ihn anzukämpfen. Ich geriet in Panik, als der Schatten immer größer wurde und Gestalt annahm.
Gefahr! Ich war in Lebensgefahr!
„Raphael! Stopp!“, schrie ich, aber er hörte nicht auf mich. Sein Mund glitt über meinen Hals direkt auf die Stelle zu, wo mein Puls am stärksten pochte.
Ich wusste, was er tun wollte, und mir war instinktiv klar, dass er es nicht tun durfte, sonst waren wir beide verloren. Ich wehrte mich mit aller Kraft und versuchte, meinen Körper unter Kontrolle zu bekommen, damit ich meinen Protest laut herausschreien konnte.
In seinen Augen brannte ein Feuer der Leidenschaft, wie es in der Hölle nicht heißer sein konnte. Ich spürte seinen Blick fast ebenso deutlich wie seinen Mund. Ich kämpfte weiter und versuchte verzweifelt, ihn von mir wegzustoßen und meine Augen zu öffnen, um ihn mit Blicken anzuflehen.
Ich muss das tun. Seine Worte sollten mich trösten, aber ich war in Panik und stieß stumme Angstschreie aus. Ich spürte, wie sich sein Mund über meiner Halsschlagader öffnete und sein heißer Atem über die Haut an meinem Hals strich, um sich das zu nehmen, was ich ihm nicht geben wollte.
„Raphael!“, schrie ich und flehte ihn ein letztes Mal an aufzuhören, aber die Worte klangen in meinen Ohren wie ein nutzloses Stoßgebet.
Sein Atem verharrte noch eine Weile über der Stelle, doch dann verschwand er plötzlich und ich lag frierend, zitternd und außer mir vor Angst, aber unversehrt in meinem Bett. Mir war übel wie bei den Visionen, aber viel schlimmer war das Gefühl der Trauer. Warum wollte Raphael mir Leid zufügen?
Warum spürte ich mit jeder einzelnen Faser meines Körpers, dass ich in seiner Nähe in Lebensgefahr schwebte? Warum wollte er mir etwas antun, wenn ich seine Auserwählte war?
Allmählich kam wieder Gefühl in meine Gliedmaßen, und als ich die Augen öffnete, war ich allein im Zimmer. Die Nachttischlampe brannte und ein warmer goldener Lichtschein fiel auf das Bett.
„Was zum Teufel?“ Erschrocken zog ich mir die Decke bis ans Kinn. So blieb ich bibbernd eine gute Stunde liegen und zuckte bei jedem Geräusch in dem alten Gebäude zusammen, während die Gedanken in meinem Kopf kreisten und ich die Bedrohung zu ergründen versuchte, die Raphael für mich darstellte.
Ich ließ das Licht an, als ich erneut wegdöste - nicht weil ich erwartete, dass er wiederkam, sondern weil ich der kindischen Angst vor der Dunkelheit nachgab.
Ein leises Klopfen an meiner Tür ließ mich hochschrecken. Mir schlug das Herz bis zum Hals.
„Komme gleich“, krächzte ich und schaute auf die Uhr, als ich aus dem Bett sprang. Es war zehn Minuten nach zwei. Roxy hatte sich die Bands offenbar bis ganz zum Schluss angehört.
„Du hast wohl den Verstand verloren“, schimpfte ich, als ich die Tür öffnete.
Ich wollte ihr eine Standpauke halten, weil sie die halbe Nacht weggeblieben war, um mit einem Haufen gepiercter Teenies um die Wette zu tanzen.
„Gut möglich.“ Raphael stand im Türrahmen. „Aber ich komme auf deine Einladung hin!“ Seine Augen weiteten sich, als sein Blick von meinem Gesicht zu meinen Zehen wanderte und wieder zurück. Sein Adamsapfel hüpfte ein paarmal auf und ab. Aus seinen Augen sprach eine Verblüffung, die das Weib in mir außerordentlich erfreut hätte, wenn er mich nicht kurz zuvor erst mit seiner Blutgier in die ewige Verdammnis hätte schicken wollen.
„Bleib mir bloß vom Leib!“, sagte ich, wich zurück und machte rasch das Kreuzzeichen. „Mir ist ganz egal, wie sehr es dich drängt, mich zu verführen und all diese wilden, erotischen Dinge mit mir zu tun, von denen du träumst
... Und wo wir gerade beim Thema sind, muss ich dir sagen, dass einige davon rein physisch gar nicht möglich sind, obwohl ich zugegebenermaßen ein, zwei Aspekte wirklich sehr interessant fand, aber trotzdem wird nichts daraus! Du bist böse! Du bist ein böser, böser Mann und ich habe es mir anders überlegt!“
Raphael blieb eine Weile auf der Schwelle stehen, dann kam er ins Zimmer und ließ die Tür auf. Ich tastete hinter mir nach einem Gegenstand, mit dem ich mich verteidigen konnte, doch er hob nur beschwichtigend die Hände.
Irgendetwas war ... anders. Er war anders. Da stand ich nun, völlig hilflos und mit einem Mann in einem kleinen Zimmer gefangen, der mich wenige Stunden zuvor zu Tode geängstigt hatte; mit einem Mann, der meine Seele und mein Blut haben wollte, und dennoch hatte ich ... ein gutes Gefühl. Mehr als das - ich begehrte ihn.
Vielleicht war es ja nur ein Albtraum gewesen?
Vielleicht hatte ich den bösen Raphael nur wegen der Schuldgefühle heraufbeschworen, die mich plagten, weil ich mich Hals über Kopf in einen Mann verliebt hatte, den ich gar nicht kannte. Vielleicht war ich wirklich verrückt geworden, aber der Mann, der nun vor mir stand und mich besorgt mit seinen bernsteinfarbenen Augen betrachtete, wollte mir eindeutig nichts Böses antun. Ich strich mir verwirrt über die Stirn. Was auch immer los war, eines wusste ich genau: Ich vertraute ihm. Trotz der bedrohlichen Vision, trotz der Möglichkeit, dass er ein Vampir war, vertraute ich ihm.
„Also? Was ist jetzt? Soll ich gehen?“, fragte Raphael und legte die Hand auf den Türgriff.
„Ich ... äh ...“ Ich schluckte und ging ein paar Schritte auf ihn zu, um zu prüfen, ob meine innere Alarmanlage losging, doch das tat sie nicht.
Allerdings traten die Cheerleader in Aktion. „Tut mir leid. Ich war nur ... irgendwie ... Du kannst reinkommen.“
Er schloss stirnrunzelnd die Tür. „Ich habe noch nie eine Frau kennengelernt, die so wankelmütig ist wie du! Erst ziehst du mich mit Blicken aus und im nächsten Moment. .“
„Oh!“, brauste ich empört auf. „Ich habe dich noch nie mit Blicken ausgezogen! Ja gut, vielleicht ein Mal, aber da hast du in die andere Richtung geschaut, also erzähl mir nicht, du hättest es gemerkt!“
„Im nächsten Moment machst du einen Rückzieher, als sei ich das Allerletzte. Würdest du mir bitte einfach mal sagen, was du von mir willst?“ Er fuhr sich mit den Fingern durch seine dunklen Locken. Meine Hände zuckten, weil sie das auch gern getan hätten, doch ich befahl ihnen, sich zurückzuhalten.
„Was meinst du damit - was ich von dir will?“
Er verdrehte die Augen und fuhr sich erneut durchs Haar. Meine Finger kribbelten. Der Rest meines Körpers übrigens auch. Dies war eindeutig nicht der gleiche Raphael wie in meiner Vision - dieser Raphael war müde, ein bisschen missmutig und verdammt sexy.
„So schwer ist die Frage ja nun nicht. Du hast gesagt, du weißt, wer ich bin und was ich mache, und hast mich eingeladen, mitten in der Nacht auf dein Zimmer zu kommen. Und da du etwas trägst, das deine Kurven auf eine Weise betont, wie es in mindestens drei Ländern gesetzlich verboten ist, muss ich davon ausgehen, dass du etwas von mir willst.“
„Ich weiß nicht, was du meinst“, entgegnete ich bestimmt und verschränkte die Arme unter meinen Brüsten. Das hatte allerdings den gleichen Effekt wie ein Push-up-BH, was Raphael nicht entging, der anerkennend seinen Blick über mein Dekollete wandern ließ.
Er kam einen Schritt auf mich zu. Ich wich einen Schritt zurück. Er stellte zwar keine Bedrohung dar wie in der Vision, aber das bedeutete noch lange nicht, dass ich meinem Verlangen nachgeben und mich auf ihn stürzen würde, wie es mein Körper forderte.
„Was ist mit dir los?“ Er runzelte die Stirn, als ich immer weiter vor ihm zurückwich, und machte plötzlich einen Satz auf mich zu.
Ich schrie auf und wollte die Flucht ergreifen, doch er packte mich an den Armen und hielt mich fest.
„Du wärst beinahe gegen die Kommode geknallt“, erklärte er. „Warum weichst du vor mir zurück? Es kann nicht daran liegen, dass du nicht merkst, wie es zwischen uns knistert. .“
Er streichelte mir über die Wange und ich erschauderte. Es knisterte zwischen uns? Das war seiner Meinung nach alles? Und ich hatte gedacht, es sei ein flammendes Inferno der Leidenschaft und der Begierde, gekrönt von einem ordentlichen Schlag Liebe. Hmm. Vielleicht sollte ich meinem Verlangen doch nachgeben ...
„Denn es ist doch offensichtlich, dass du das Gleiche fühlst wie ich.“
Er zog mich an sich und seine stählernen Muskeln pressten sich gegen meine weichen Rundungen. Es war der Augenblick der Wahrheit. In diesem Moment der Nähe erinnerte ich mich unwillkürlich an das schreckliche Gefühl der Bedrohung, das er in der Vision bei mir ausgelöst hatte. Doch dieses Gefühl wich der Überzeugung, dass ich das Richtige tat, während ich in seinen vor Verlangen brennenden Augen versank und gierig seinen wunderbaren Geruch in mich aufsog, der mein Blut zum Kochen brachte.
„Was willst du von mir?“, wiederholte er und seine Lippen berührten fast die meinen. Als ich mich noch fester an ihn schmiegte, spürte ich etwas und sah an ihm herunter.
„Wow“, sagte ich und es juckte mir in den Fingern, doch ich hielt mich zurück. Anfassen war erst möglich, wenn ich explizit dazu aufgefordert wurde.
„Immerhin hat Miranda sich in diesem Punkt an meine Anweisungen gehalten.“
„Was?“
„Ach, nicht so wichtig. Ich habe jedenfalls gerade meine Meinung geändert, und da ich nicht das Gefühl habe, in Gefahr zu sein, sind wir offenbar auf der gleichen Wellenlänge. Wenn du also zu dem dritten Schritt übergehen und mich küssen willst, habe ich nichts dagegen.“ Ich bot ihm meine Lippen dar und ließ meine Hände unter seine Lederjacke gleiten. Selbst durch den dicken Pullover, den er darunter trug, war seine wundervolle Wärme zu spüren.
„Aha“, sagte er und machte sich von mir los, um sich auf den Stuhl neben der Kommode zu setzen.
Er schlug die Beine übereinander, schnitt eine Grimasse und nahm die Beine rasch wieder auseinander. „Aber bevor wir zum Küssen übergehen, sagst du mir vielleicht noch, was du dafür haben willst, dass du deine Informationen für dich behältst.“
Was? Er wollte wissen, was ich dafür haben wollte, wenn ich die Tatsache, dass er ein Vampir war, für mich behielt? Vertraute er mir denn nicht? Wusste er nicht, dass ich sein Geheimnis niemals preisgeben würde? Nun, es stimmte zwar, dass Roxy es Christian weitererzählt hatte, aber er war mit Sicherheit vertrauenswürdig, und ich würde Rox das Versprechen abnehmen, es niemandem sonst zu verraten.
Die Auserwählte eines Vampirs war doch nicht zum Verrat fähig! Das musste er doch wissen!
Es wurde Zeit, dass ich die Initiative ergriff. Raphael hatte offensichtlich den Eindruck, dass das zwischen uns nur ein kleines Strohfeuer war. Als Frau - als diejenige also, die sich per se besser mit Gefühlen auskannte - hatte ich eindeutig die Aufgabe, ihn in diesem Punkt aufzuklären, und da Taten immer besser waren als Worte, setzte ich mich auf seinen Schoß, um ein paar Dinge klarzustellen. Er ächzte, als mein Oberschenkel auf seine Leistengegend traf.
„Sorry.“ Ich verlagerte mein Gewicht. „Ich wollte dir nichts zerquetschen. Alles okay mit den edlen Teilen? Gut. Also, wo waren wir stehen geblieben?“
Bevor er etwas sagen konnte, griff ich in sein Haar und hielt seinen Kopf fest, um mit meiner Zunge in die unbekannten Gefilde seines Mundes vorzudringen. Er erstarrte überrascht und ich dachte schon, er wollte gegen meine Zudringlichkeit protestieren, doch dann entspannte er sich und stöhnte leise, als er mich an den Hüften packte und an sich zog.
Während wir uns leidenschaftlich küssten, wobei mir von seinem Geschmack, seinem Geruch und seiner Nähe beinahe schwindelig wurde, setzte ich mich so hin, dass ich seine Hüften zwischen meinen Knien hatte.
„Viel besser“, stöhnte ich, saugte an seiner Unterlippe und knabberte ein bisschen daran.
„Du machst mich total verrückt“, entgegnete er und seine Finger gruben sich in meine Hüften, als er mich auf seinen Schoß drückte und erneut küsste.
Ich hisste die weiße Fahne und ließ mich bereitwillig entern.
„Das weißt du, nicht wahr?“ Er schob ganz langsam den hauchdünnen Stoff meines Seidennachthemds an meinen Oberschenkeln hoch. Wo seine Finger meine Haut berührten, hinterließen sie brennende Spuren. „Du machst mich wahnsinnig. Du bringst mich restlos um den Verstand. Ich bin noch nie einer Frau wie dir begegnet, die mich so ...“
Ich unterbrach ihn mit einem äußerst wirkungsvollen Zungentrick. Er reagierte sofort auf mein En Garde! und als er mit feuriger Zunge parierte, zustieß und zum Gegenangriff überging, wollte mein ganzer Körper strammstehen und „Ahoi, Käpt'n!“ rufen.
„Geredet wird später“, raunte ich ihm zu, als ich meine Zunge wieder unter Kontrolle hatte und eine kurze Pause einlegte.
„Hmm“, pflichtete er mir bei, während eine Hand meinen Oberschenkel verließ und meine Hüfte hinaufglitt, zu meiner Taille und den Brüsten, die regelrecht danach lechzten, von ihm berührt zu werden.
Ich zog an seinen Haaren, bis er den Kopf in den Nacken legte und mir seinen Hals preisgab, den ich unbedingt küssen musste. Ich begann an dieser delikaten Stelle direkt hinter seinem Ohr und arbeitete mich mit Küssen seinen Hals entlang. Es fiel mir schwer, mich darauf zu konzentrieren, denn seine Finger, die auf meinem Oberschenkel unterwegs waren, entfachten ein wahres Inferno.
„Wenn man schon etwas macht“ murmelte ich und spürte seine Halsschlagader unter meinen Lippen pulsieren.
„Dann muss man es richtig machen“, führte er den Satz fort und seine Hand wanderte hinauf zum Mittelpunkt meines Universums.
„Oh Gott!“, stöhnte ich, als seine Finger meinen Seidenslip streiften.
„Ich bin's nur“, warf er ein und umfing mit der anderen Hand meine Brust.
„Sorry, mein Fehler.“ Ich wand mich unter dem Feuer, das seine Hände entfachten. Er zog mich an sich, bis er eine Brust mit dem Mund liebkosen konnte. Er saugte durch den Seidenstoff an ihr, bis ich glaubte, jeden Augenblick in Ohnmacht zu fallen.
Er küsste sich langsam durch das Tal zwischen meinen Brüsten nach oben, während seine Finger weiter unten streichelten und neckten und die Bewegungen seiner Hand auf meiner Brust nachahmten. Sein Mund war heiß und feucht, und ihn an meinem Hals zu spüren, wie er über meiner wild pochenden Halsschlagader verharrte, machte mich wahnsinnig. Als er mit seiner Zunge ganz langsam darüberfuhr, wollte ich schon Einspruch erheben, aber diesmal war es anders. Es fühlte sich gut an. Ich war für ihn bestimmt.
„Mach schon“, hauchte ich und legte meinen Kopf in den Nacken. „Beiß mich. Nimm mein Blut. Ich will es. Ich will dir mein Leben schenken.“
Seine Hände erstarrten, doch ich wartete atemlos darauf, dass sich seine Zähne in meinen Hals bohrten, während die Erinnerung an die erotischen Beschreibungen des Akts aus Dantes Büchern meine Lust ins Unermessliche steigerte.
Raphael rückte langsam von mir ab. Ich sah ihn überrascht an. Enttäuschung sprach aus seinem Blick und das Feuer der Leidenschaft schien urplötzlich erloschen zu sein.
„Ich hätte nicht gedacht, dass du auf solche Sachen stehst“, sagte er nachdenklich.
„Was für Sachen?“, fragte ich verwirrt. Warum machte er nicht weiter? Er wollte doch mein Blut trinken, warum zögerte er nun?
„Ich werde dich nicht beißen.“
Ich registrierte erstaunt das Missfallen in seinem Blick. „Nein?“
„Nein.“
„Nicht mal ein bisschen? Nur einen kleinen Snack? Oder ein Dessert?“
Er sah mich nur schwer atmend an, zog seine Finger von den Spaßzonen meines Körpers ab und ließ die Hände sinken.
„Joy, ich weiß nicht, was du willst...“
Ich drückte meinen Unterleib gegen seinen Schritt.
„Okay, ich weiß, was du willst, aber ich weiß nicht, warum du es willst und warum du für dich behältst, was du hinter meinem Rücken über mich herausgefunden hast, aber eines weiß ich ganz genau.“
Mir rutschte das Herz in die Hose. Er wollte mich nicht beißen und zu seiner Gefährtin machen? Nachdem ich so mit mir gerungen hatte, um an das zu glauben, was er war, und um ihm trotz der beunruhigenden Visionen zu vertrauen?
„Ich weiß, dass es mir schon rein physisch nicht möglich ist, dich zurückzuweisen“, fuhr er fort und seine Stimme klang plötzlich ganz heiser.
Dadurch wurde dieser Mann nur noch erotischer, der ohnehin schon das obere Ende meines persönlichen Erregometers erreicht hatte. „Ich dachte, ich könnte es, aber das war bevor du mir das Hirn aus dem Kopf gesaugt hast mit deinen Küssen, die Stahl zum Schmelzen bringen. Mein Großvater hatte recht.“
„Hä?“
„Als er mir sagte, dass ein St. John es sofort weiß, wenn er der Frau zum ersten Mal begegnet, mit der er sein Leben verbringen wird. Er hatte recht. Ich wusste es.“
Ich saß vollkommen still da, während mein Herz vor Glück einen Purzelbaum schlug. „Ich weiß nicht genau, ob dieser Satz grammatisch ganz korrekt war, aber so etwas Schönes hat mir noch nie jemand gesagt.“
Als Reaktion auf meine Worte regte sich etwas bei ihm und wir schauten beide auf die Stelle, die sich regte. Raphaels hinreißende Lippen verzogen sich zu einem schiefen Grinsen. „Siehst du? Sogar mein Körper weiß es. Und nachdem dieser Effekt bereits eintritt, wenn ich nur an dich denke, wie soll ich dich dann dazu bringen, deine herrlichen Oberschenkel von meinen brennenden Beinen zu nehmen und aufzustehen? Das ist einfach unmöglich!“
Ich löste meine Finger aus seinem Haar und setzte mich wieder seitlich auf seinen Schoß. Er erschauderte und seine Finger zuckten, aber er fasste mich nicht an.
Ich begriff nicht so recht, was los war, aber ich war fest entschlossen, es herauszufinden. „Ich versuche mal, den Ablauf der Ereignisse auf die Reihe zu bekommen.“
Er nickte und bedachte den unbedeckten Teil meiner Brüste mit einem sehnsüchtigen Blick, bevor er tief durchatmete und noch einmal nickte.
„Zuerst bist du in mein Zimmer gekommen und hast merkwürdige Dinge mit der Luft angestellt. Und dann hast du mich geküsst und wolltest gerade von meinem Blut trinken, als ich dich anflehte aufzuhören.“
„Was?“, fuhr er auf und kniff die Augen zusammen.
„Wovon redest du?“
„Du bist in mein Zimmer gekommen“, entgegnete ich etwas verärgert darüber, dass er offensichtlich weiter mit der Wahrheit hinter dem Berg halten wollte. Das war überflüssig. Er musste ganz gewiss nicht fürchten, dass ich seine wahre Identität verraten würde.
„Du hast mich dazu aufgefordert“, protestierte er.
„Du hast mir verführerische Blicke zugeworfen und trägst diesen Hauch von Nichts hier. Wenn das keine Aufforderung ist, dann wüsste ich zu gern von dir, was es sonst ist.“
„Nein, ich meinte nicht jetzt, sondern vorher. Du hast an meinem Hals geknabbert und warst kurz davor hineinzubeißen.“
Er starrte mich mit offenem Mund an.
„Und dann, als ich mich gewehrt habe, bist du gegangen, nur um ein paar Stunden später zurückzukehren und dich zu weigern, das zu tun, was du vorher tun wolltest.“
„Joy.“ Raphael legte beide Hände auf meine Oberschenkel und es regte sich wieder etwas bei ihm.
„Ich bitte dich, mir aufmerksam zuzuhören, denn ich weiß nicht, wie lange ich noch so mit dir hier sitzen kann, ohne komplett verrückt zu werden - es ist die reinste Hölle für mich! Also, ich bin früher am Abend nicht in deinem Zimmer gewesen.“
Ich hörte auf, in seinen Schritt zu starren, und blickte ihn überrascht an. „Bist du nicht?“
Er sah mir ernst in die Augen. „Nein, bin ich nicht.“
„Bist du sicher?“
„Ganz sicher.“
„Vielleicht hast du es vergessen?“ Ich wollte nicht wahrhaben, dass Raphael nicht mein nächtlicher Besucher gewesen war.
„Joy ...“ Ich verlagerte mein Gewicht und er stöhnte mit angespannter Miene.
„Gott steh mir bei! Hör auf mich so zu quälen, Frau! Ich sage es nur noch einmal und dann wirst du deinen herrlichen Körper von meinem Schoß schwingen und mich gehen lassen. Ich bin früher am Abend nicht hier gewesen und habe dich auch nicht angefasst.“
„Das klingt ja, als wäre es dir zuwider, mich anzufassen“, entgegnete ich empört und rückte von ihm ab.
„Sehe ich etwa so aus, als wäre es mir zuwider?“
Eindeutig nicht, wenn man eine gewisse Schwellung betrachtete. „Also, nein...“
Er sah mich durchdringend an und umklammerte meine Hüften. „Ich bin ein Mann, ein ganz normaler Mann, der seine Grenzen hat, und wenn du mich weiter so folterst und dich noch ein einziges Mal bewegst, sterbe ich und dann musst du der Polizei erklären, was ein toter Engländer in deinem Zimmer zu suchen hat.“
Ich widerstand der Versuchung, mich zu rühren. Er sah wirklich aus, als sei er völlig am Ende. Ich beschloss, das Thema, wer mich nun zuvor besucht hatte, fallen zu lassen und einer anderen Frage nachzugehen, die mich beschäftigte.
„Was hast du eigentlich damit gemeint, als du gefragt hast, was ich über dich wüsste? Das klang ja beinahe, als hätte ich vor, dich zu erpressen. Hast du irgendein dunkles Geheimnis, das du mir nicht verraten willst?“
Er ächzte, als ich mich vorbeugte, um ihm ganz tief in die Augen zu sehen.
„Vergiss es! Ich habe wohl überreagiert. Das ist nicht wichtig.“
Ich fuhr mit dem Finger über die steile Falte zwischen seinen Augenbrauen.
„Bist du irgendwie in Schwierigkeiten?“
Er hielt meine Hand fest und betrachtete sie eine Weile, bevor er meine Fingerspitzen küsste und seine Zunge dabei meine plötzlich wieder hochempfindliche Haut berührte.
„Joy, ich möchte mit dir schlafen, aber ich glaube, jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt. Du bist offensichtlich in Sorge über etwas, das vorhin passiert ist, und ... nun, so gern ich dein Angebot annehmen würde, so ist heute Nacht anscheinend nicht der beste Moment, weder für dich noch für mich. Ich denke, es ist besser, wenn ich jetzt gehe.“
Ich fuhr mit dem Finger über seine Lippen, während sich Enttäuschung in mir breitmachte, obwohl ich wusste, dass Raphael Vernunft bewies - im Gegensatz zu mir. „Du willst mich nicht?“
Er legte meine Hand auf seinen Schritt. Die Beweislage war eindeutig.
„Du willst mich also?“
„So sehr, dass ich bereit bin zu warten, bis ich dir zeigen kann, dass es bei uns nicht nur um Sex geht. Wenn wir uns lieben, geht es um mehr.“
„Mehr?“ Mannomann, meine Neugier war geweckt.
Er wickelte sich eine Strähne meines Haares um den Finger. „Oh, ja, Baby, sehr viel mehr.“
Ich nickte und dachte über seine Worte nach, dann stand ich auf. „Bist du sicher, dass du es nicht warst?“
„Ziemlich sicher“, entgegnete er und stand ebenfalls auf. Als er seinen Hosenbund zurechtrückte, verzog er unwillkürlich das Gesicht.
Ich versuchte, die Puzzleteile zusammenzufügen - um zu verstehen, wie der frühere und der aktuelle Raphael zusammenpassten -, aber sie wollten einfach nicht ineinandergreifen. Ich blinzelte einige Male, um einen klaren Kopf zu bekommen. „Aber wenn du nicht derjenige warst, der zu mir gekommen ist, wer war es dann?“